Wie war das am Ende des Zweiten Weltkrieges, als im Bunker langsam aber sicher die letzten Lichter ausgingen und jeder, der überleben wollte, sich auf die Zeit danach einstellte. Da wimmelte es plötzlich von Leuten, die mit all dem Geschehenen plötzlich nichts mehr zu tun haben wollten. Einstige Mitläufer, die keine Gelegenheit versäumten, ihre Übereinstimmung mit der herrschenden Ideologie hervorzuheben, präsentierten sich nun als jene, die eigentlich immer schon dagegen waren und gleichsam nur aus Selbstschutz den Obernazi mimten.
Die Geschichte lehrt vieles, aber am wenigsten das, was die politische Elite unserer Tage als oberste moralische Konklusion verkauft. Sie lehrt vor allem eines: die Mächtigen, auch wenn sie sich noch so unverwundbar gerieren, können fallen! Und in vielen Fällen tun sie das auch, solange sie noch in Amt und Würden sind.
Die Ereignisse in Nordafrika leben beredtes Zeugnis davon ab. Und die Parallelen zu anderen Umbrüchen der Geschichte könnten deutlicher nicht sein. Und das nicht nur, was die betroffene Bevölkerung betrifft. Auch bei uns im Westen müssen nun einige ihr Fähnchen neu ausrichten und die Welt davon überzeugen, dass sie mit denen, deren Lieder sie bislang so eifrig sangen, eigentlich gar nichts zu tun hatten.
Es ist amüsant und abstoßend zugleich, wenn man Leute sieht, die sich genau so gebärden wie ihre viel gescholtenen Großväter. Die Generation der 68er, die angetreten ist, alles besser zu machen und vor allem den Geist des Nazismus ein für allemal zu vertilgen, bewegt sich nun moralisch gesehen im gleichen Fahrwasser. Erst mit Diktatoren paktieren und dann, wenn sich der Wind dreht, das Weite suchen! So hat an sich wahre Vorbilder immer schon vorgestellt. Aber es geht noch besser: anstatt zuzugeben, dass man einer Chimäre aufgesessen ist, versuchen viele offenbar so zu tun, als hätten sie niemals mit Staatsterroristen à la Gaddafi sympathisiert.
Jean Ziegler, selbsternanntes Weltgewissen und moralistischer Eiferer, ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie die Wendezeiten plötzlich die Selbstwahrnehmung verändern. Er hätte auch in der Nazizeit einen guten Mitläufer angegeben. Sein Pech war nur, dass er ein paar Jahre zu spät auf die Welt kam. Aber kein Problem: Diktatoren und Menschenschlächter, die man im Dienst der guten Sache unterstützen kann, gibt es zu allen Zeiten.
Jean Ziegler ist allerdings bei weitem kein Einzelfall. Viele, allzu viele aus der 68er-Generation haben mehr oder weniger offen mit Gaddafi sympathisiert und dabei geflissentlich über solche Kleinigkeiten wie Lockerbie, entführte Schweizer Geschäftsleute, bulgarische Krankenschwestern u.a. hinweg gesehen. Dazu kam, dass der libysche Staatschef in den letzten Jahren als geläutert galt, was ihn auf der politischen Bühne hoffähig machte. Ziegler und seine Gesinnungsgenossen schienen also auf der Siegerstraße zu sein, bis das libysche Volk ein Stoppschild aufpflanzte.
So ändern sich die Zeiten, und dann ist es Zeit, sich neu zu orientieren. Aber noch ist nicht aller Tage Abend. Denn wer weiß, vielleicht schaffen es ja die Islamisten, in den neuen Demokratien an die Macht zu kommen. Spätestens dann könnten unsere moralistischen Vorbilder wieder in ihre gewohnten Pfade zurückkehren. Die Vorarbeiten werden einstweilen auf europäischem Boden geleistet.
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