2011/03/18

Der GAU in den Köpfen

Während die Lage in Fukushima langsam, aber sicher unter Kontrolle zu sein scheint, dauern die medialen Nachbeben auf dem europäischen Kontinent unvermindert an. Gleich zu Beginn des Atomunfalls in Japan wurden die Medien nicht müde, auf die unsaubere Informationspolitik des Kraftwerksbetreibers hinzuweisen. Tenor: Es ist alles viel schlechter, als uns die Betreiber mitteilen. Diese simple, aber überaus wirksame Hintergrundinformation sollte gleichzeitig suggerieren, dass die eigenen Informationen einen höheren Wahrheitsgehalt besitzen, zumal man ja noch zusätzlich auf andere (tatsächliche oder vermeintliche) Experten zurückgreifen würde. Manche dieser Experten haben dann ja auch tatsächlich den einen oder anderen Super-GAU daher phantasiert. Doch dazu ein andermal mehr.

Wie aber sieht es mit der Informationspolitik der deutschsprachigen Medien tatsächlich aus? Hier ein kleines Beispiel:

So hieß es etwa heute (18. März 2011) im Live-Ticker der Presse:
12.42 Uhr: Strahlenbelastung in nicht evakuierter Zone 
Mehr als 30 Kilometer vom AKW Fukushima entfernt ist eine deutlich erhöhte Strahlenbelastung festgestellt worden. Die Verstrahlung nordwestlich der havarierten Anlage lag bei 170 Microsievert am Donnerstag und 150 Microsievert am Freitag, wie das japanische Wissenschaftsministerium mitteilte. Nach Expertenmeinung nehmen Menschen bei der gemessenen Belastung innerhalb von sechs bis sieben Stunden so viel Strahlung auf, wie sonst innerhalb eines Jahres gerade noch verträglich wäre.
Ich verstehe ja, dass die Presse-Mitarbeiter im (virtuellen!) Super-GAU-Stress stehen. Nach einem einwöchigen Dauerbombardement mit beinahe stündlich neuen Strahlenmessungen sollte sich doch mittlerweile in der Redaktion herumgesprochen haben, dass eine Angabe wie "170 Microsievert" so gut wie keinen Sinn macht, wenn man nicht dazu sagt, in welcher Zeit diese Dosis auftritt. Man kann deshalb aus der Presse-Meldung nur erraten, dass es sich wahrscheinlich um Mikrosievert pro Stunde handeln muss. Dies wird auch durch einen Blick auf einen Bericht von NHK bestätigt, der wohl als Quelle für obige Meldung diente.

Nun sagen Experten, dass man bei dieser Strahlendosis nach sechs bis sieben Stunden eine noch nicht gesundheitsgefährdende Jahresdosis abbekommen hat. Rechnen wir nach: 170 mkSv/h mal 7 h = 1190 mkSv. Letzteres soll also einer noch ungefährlichen Jahresbelastung entsprechen. Dies ist in der Tat der Fall. Allerdings suggeriert die Formulierung "gerade noch verträglich", dass man damit schon hart am Limit wäre, sozusagen ein potentieller Kandidat für Strahlenkrankheit.

Doch zurück auf den Boden der Tatsachen: Wenn die Japaner im Schnitt mit einer Jahresdosis von 1200 mkSv leben, können sie sich eigentlich glücklich schätzen. Die Jahresdosis eines Amerikaners beträgt im günstigsten Fall bereits etwa 3000 mkSv. Laut Wikipedia gibt es sogar vereinzelt Gegenden, die mit Spitzenwerten von 200 000 mkSv pro Jahr glänzen. Und zwar ohne, dass die Menschen dort nachweisbare Strahlenschäden aufwiesen.

Übrigens: der NHK-Bericht weist auch darauf hin, dass der oben genannte Wert von 170 Mikrosievert pro Stunde den höchsten gemessenen Wert darstellt. Bei anderen Messpunkten in einer Zone von 30 bis 60 km um das Atomkraftwerk wurden Strahlungsdosen zwischen 0,5 und 52 Mikrosievert pro Stunde festgestellt. Der erste Wert ist also 340 mal schwächer als das reißerische Maximum im Presse-Ticker, der größere Messwert beträgt nicht einmal ein Drittel des Maximalwerts.

Da haben die Redakteure in der Hitze des Gefechts wohl ganz entscheidende Informationen "vergessen"! Aber ich kann´s ja verstehen. Ein einzelner Spitzenwert verkauft sich eben besser als eine ganze Reihe anderer, aber zum Teil weitaus geringerer Messwerte. Bad news is good news!

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