In diesen katastrophen-geplagten Tagen wird oft mit Wahrscheinlichkeiten jongliert. Wahrscheinlichkeiten, mit denen gewisse Ereignisse eintreten oder auch nicht. Ein Artikel auf Spiegel Online untermauert die bedrohliche Erdbebenlage in den USA, insbesondere in Kalifornien, mit einer Reihe von Wahrscheinlichkeiten. So beträgt etwa das Risiko, dass die Stadt San Francisco in den nächsten 31 Jahren von einem Erdbeben der Mindeststärke von 6,7 heimgesucht wird, 62 Prozent. Das klingt nach viel und ist es auch in gewisser Hinsicht.
Doch was bedeutet diese Zahl genau? Man stelle sich dazu den Bundesstaat Kalifornien in hundertfacher Ausfertigung vor, also 100 identische Kopien von Kalifornien. Dann bedeutet die oben genannte Wahrscheinlichkeit von 62 Prozent nichts anderes, als dass sich in 62 dieser identischen Kopien in den nächsten drei Jahrzehnten ein Erdbeben der Stärke 6,7 oder mehr ereignen wird. In den 38 übrigen Kopien wird Derartiges nicht eintreten.
Der gegenwärtige Medienhype ist sehr dazu angetan, unsere Wahrnehmung von Risiken zu verzerren. Ob das so gewollt ist oder nicht, sei dahingestellt. Jedenfalls tun sich die Menschen grundsätzlich schwer damit, die Wahrscheinlichkeit von Ereignissen einzuschätzen. Wahrscheinlich (!) ist das auch der Grund, warum so viele Leute Lotto spielen. Die allermeisten zahlen dabei nur drauf. Aber der Glanz, der die wenigen Glücklichen umgibt, ist für viele dennoch ausreichend, immer wieder ihr Geld auf der Jagd nach dem Glück aus dem Fenster zu werfen. Wenigstens geht davon (normalerweise) keine Gefahr für die Gesundheit aus.
Letztere wird allerdings quasi pauschal für die Wirkung radioaktiver Strahlung unterstellt. Manche Menschen haben richtige Todesangst, wenn sie nur das Wort Radioaktivität hören. Nun, Marie Curie, eine der Pionierinnen auf diesem Gebiet, hat im Laufe ihres Lebens mit Sicherheit eine gewaltige Menge an Strahlung absorbiert. Selbst ihre Kochbücher waren nachweislich kontaminiert. Für jeden Strahlenschutzexperten ein Horror! Jedenfalls ist sie nicht unmittelbar an der Strahlenkrankheit gestorben. Ob ihr Tod mit etwas über 66 Jahren als eine Folgewirkung der langjährigen Strahlenexposition zu sehen ist, lässt sich meines Erachtens nicht mit Sicherheit sagen. Ihr Lebensalter bewegt sich jedenfalls im Rahmen der Lebenserwartung, die man in den 1930er Jahren zu gewärtigen hatte.
Doch zurück zur Gegenwart. Meines Wissens gab es in Deutschland in den letzten 40 Jahren keinen einzigen Todesfall, der auf unmittelbare Strahleneinwirkung radioaktiver Materialien zurückzuführen ist. Vergleichen wir das mit der Zahl der Todesopfer, die durch Gewaltkriminalität zu verzeichnen sind. Überspitzt formuliert könnte man sagen, dass U-Bahn-Schläger einen höheren Blutzoll gefordert haben als alle deutschen Atomkraftwerke zusammen. Nun könnte man der Polemik noch eins drauf setzen und sagen: warum wird eigentlich U-Bahn-Fahren nicht verboten? Ein paar Leute mehr wären immerhin noch am Leben.
Nun, der Grund, warum die U-Bahn nach einer Schlägerattacke nicht eingestellt wird, ist ganz einfach eine Kosten-Nutzen-Analyse. Würde man den Betrieb einstellen, so wären die gesellschaftlichen Folgewirkungen größer als umgekehrt. Mit anderen Worten: Man nimmt einfach das Risiko in Kauf, dass hin und wieder jemand tot- oder halbtot geprügelt wird. Natürlich werden gewissen Sicherheitsmaßnahmen ergriffen, aber ganz ausschließen lässt sich ein derartiges Ereignis nicht.
Das gleiche Argument lässt sich auf die Kernenergie anwenden. Ist der Nutzen, den wir aus dem Betrieb von Kernkraftwerken ziehen größer als der Schaden, den wir durch einen Super-GAU zu erwarten haben? Ein substantieller Teil der wirtschaftlichen Prosperität Deutschlands ist unzweifelhaft der Kernenergie zu verdanken. 2009 trugen die deutschen Reaktoren mehr als 26 % zur Stromerzeugung bei (Quelle: Fischer Weltalmanach 2011).
Natürlich lässt sich nicht genau sagen, wie hoch der wirtschaftliche Schaden eines äquivalenten Unglücks in Deutschland wäre. Aber nehmen wir als Vergleich die Situation in Japan. Dort tragen Reaktoren etwa 29 % zur Stromproduktion bei, was die Vergleichbarkeit untermauert. Der wirtschaftliche Schaden durch Erdbeben, Tsunami UND Atomunfall wird auf 180 Mrd. USD geschätzt. Zum Vergleich: Das BIP des Landes betrug 2009 mehr als 5000 Mrd. USD (Quelle: wie oben). Der Schaden entspricht etwa 3,5 % der Wirtschaftsleistung eines Jahres. Dies wiederum entspricht ungefähr einer Woche kompletten wirtschaftlichen Stillstands.
Rückübertragen auf die Situation in Deutschland würde also ein vergleichbares Unglück dem Schadensausmaß eines einwöchigen Generalstreiks entsprechen. Und das in 40 Jahren Kernenergienutzung ohne ernsthaften Zwischenfall. Es ist also so, als hätte man in 40 Jahren, das sind etwa 9000 Arbeitstage, um ganze sieben Tage weniger gearbeitet. Und wer weiß, wie lange die Nutzung noch ungestört weiterlaufen könnte, wenn, ja wenn nicht inzwischen alle AKWs vom Netz gehen.
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