2011/02/05

Panikmache im Qualitätsmedium

SpiegelOnline wartet wieder mit einer Sensation auf: Bahn und Ministerium wussten seit Jahren von den Gefahren der Strecke.

Es sind Schlagzeilen wie diese, die ich über alles liebe. Und der Artikel, der sich dahinter verbirgt, bestätigt meine sämtlichen Erwartungen an die unterste Schublade der Journalistik. Es geht um das Zugsunglück, das sich kürzlich in Ostdeutschland ereignete und bei dem 10 Menschen zu Tode kamen. Nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen handelt es sich bei der Ursache für dieses Unglück ganz klar um menschliches Versagen. Das ist bedauerlich, aber nicht zu ändern. Menschen machen Fehler. Daran wird sich solange nichts ändern, bis die genetische Ausstattung des Menschengeschlechts signifikant zum Besseren ändert. Das könnte aber noch ein wenig dauern....

Nach dem Spiegel-Bericht war die entsprechende Gefahrenlage bereits seit dem Jahr 1997 bekannt. Und was folgt daraus? Gar nichts. Denn die Strecke war vorschriftsmäßig mit einer Signalanlage ausgestattet, die genau dafür vorgesehen war, derartige Unglücke zu verhindern. Insofern geht es also für alle Lokführer nur darum, entsprechend aufzupassen. Das Gleiche gült übrigens auch für ganz normale Verkehrsampeln im Straßenverkehr. Wenn die bei Rot überfahren werden, bedeutet das auch erhebliche Gefahren für alle Verkehrsteilnehmer. Weiß das Ministerium nichts davon? Warum tun die nichts dagegen, uns von diesen unabsehbaren Gefahren zu bewahren?

Wie hoch war das Risiko, auf dieser Unglücksstrecke zwischen Magdeburg und Halberstadt einen tödlichen Unfall zu erleiden? Um das zu erfahren, müssen wir nur ein bisschen im Internet recherchieren und die Grundrechenarten anwenden. Nach der Fahrplanauskunft der Deutschen Bahn verkehren auf dieser Strecke etwa 40 Züge täglich. Wenn wir (äußert vorsichtig) schätzen, dass in jedem Zug 10 Menschen sitzen, dann sind zwischen Magedburg und Halberstadt täglich mindestens 400 Passagiere unterwegs. Nehmen wir weiterhin das ominöse Jahr 1997 als Referenzjahr, dann haben in den letzten 12 Jahren etwa 1,7 Millionen Bahnreisende die Unfallstrecke passiert. Unsere Schätzung ist geradezu lächerlich niedrig, sodass wir mit Fug und Recht annehmen können, dass die tatsächlichen Passagierzahlen deutlich darüber liegen, vielleicht sogar das Doppelte oder mehr betragen. Aber bleiben wir vorsichtigerweise bei den niedrigeren Zahlen. Dann sind von 1,7 Millionen Passagieren 10 zu Tode gekommen, das entspricht einer Sterbewahrscheinlichkeit von 1:170000 über einen Zeitraum von 12 Jahren. Tatsächlich dürfte die Wahrscheinlichkeit jedoch deutlich geringer sein. Die Wahrscheinlichkeit innerhalb eines Jahres auf der genannten Strecke tödlich zu verunglücken ist somit 1:2000000. Also statistisch gesehen stirbt jedes Jahr einer von 2 Millionen Passagieren auf dieser Strecke.

Entsprechend dem Statistischen Bundesamt sterben jährlich 10 von 1000 Einwohnern in Deutschland. Das bedeutet, dass das über alle Bevölkerungsgruppen und Risiken gemittelte Sterberisiko 1:100 beträgt. Und zwar pro Jahr. Verglichen damit ist das Risiko, sich per Bahn zwischen Magdebrug und Halberstadt zu bewegen, verschwindend gering.

Das jedoch lässt sich beim besten Willen nicht aus dem Spiegel-Bericht entnehmen. Die Geschichte suggeriert vielmehr das genaue Gegenteil. Und das ist ja auch die Absicht des Artikels: die gefühlte Unsicherheit des Lesers zu steigern. Einer nüchternen Analyse hält dessen Botschaft jedoch nicht stand. Und so dürfen wir auch weiterhin beruhigt im Zug Platz nehmen, auch dann, wenn wir von Magdebrug nach Halberstandt oder in die Gegenrichtung fahren.

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