2010/11/29

Mehr Schein als Sein

Es ist immer amüsant, Menschen zu sehen, die sich selbst viel zu wichtig nehmen. Julian Assange ist einer von ihnen.

Grundsätzlich ist nichts dagegen zu sagen, wenn sich Aufklärer für mehr Wahrhaftigkeit, Transparenz und Ehrlichkeit einsetzen. Allerdings sollte die Partie dann fair ablaufen. Wenn ein derartiges Unternehmen jedoch eine ausgeprägte Schlagseite besitzt, dann haftet dem Ganzen ein mehr als schaler Beigeschmack an.

Die bisher von wikileaks unter großem Medienrummel veröffentlichten Dokumente belasten ausnahmslos direkt oder indirekt jene Staaten, die dem westlichen Modell der liberal-aufgeklärten Demokratie verbunden sind. Und es besteht wirklich Veranlassung zu fragen, warum andere Staaten wie etwa Russland, China, der Iran etc. praktisch ungeschoren davon kommen. Wahrscheinlich würden die Verantwortlichen von wikileaks sagen, es sei eben deutlich schwieriger und gefährlicher, von dort jene Dokumente zu ergattern, die ihnen von westlicher Seite geradezu frei Haus zuflattern. Zumindest scheint letzteres so. Und in der Tat mögen die wikileaks-Leute mit ihrer Antwort recht haben, denn - um nur ein Beispiel zu nennen - sich mit den iranischen Mullahs anzulegen, kann fatale Konsequenzen haben.

Aber gerade angesichts dieser asymmetrischen Informationslage wäre es wichtig darauf hinzuweisen, wo die eigenen Grenzen liegen, mit anderen Worten: wen man als legitimes Ziel betrachtet und wen nicht. Und genau das tut wikileaks eben nicht. Stattdessen wird unter dem Anschein der Objektivität eine dezidiert antiwestliche Stimmung geschürt, die wohl so manchen ausgedienten Propagandaexperten der ehemaligen Sowjetunion vor Neid erblassen lassen würde.

Der Verdacht einer gezielten Agitation gegen alles, was im Westen verwurzelt ist, wird noch dadurch erhärtet, dass die von wikileaks transportierten Fakten alles andere als überraschend sind. Da wird einmal das Kriegsgeschehen im Irak thematisiert, natürlich nicht ohne gewisse Greuel (von welcher Seite wohl?) groß herauszustreichen. So what? Krieg ist Krieg, könnte man sagen, und der ist nun mal kein Wunschkonzert. Denn wenn wir auf dem Boden der Tatsachen bleiben und das Kriegsgeschehen im Irak mit jenen Ereignissen vergleichen, die sich auf europäischen Boden während des vergangenen Jahrhunderts abgespielt haben, dann verlieren die jüngeren Geschehnisse doch deutlich an Schrecken und Unmenschlichkeit. Natürlich ist es nicht hinnehmbar, dass es Übergriffe von Soldaten gegen die Zivilbevölkerung gibt. Aber dafür gibt es auch den Verhaltenskodex der Truppen und eine entsprechende Gerichtsbarkeit, die dafür zu sorgen hat, dass solche Ausreißer im Rahmen von Einzelfällen bleiben. Das ist keine Entschuldigung für grundlose Brutalitäten. Aber es ist eben auch nicht hinnehmbar, dass durch das Herausstreichen einzelner Gewalttaten der Eindruck eines systematischen Vorgehens erzeugt wird. Und es ist wohl unbestreitbar, dass ein beträchtlicher Anteil der im Irak zu Tode Gekommenen auf das Konto religiöser Fanatiker geht, offenbar große Befriedigung darin finden, sich gegenseitig in die Luft zu sprengen.

Nicht viel anders verhält es sich bei der jüngsten Welle von Veröffentlichungen aus dem Hause wikileaks. Da wird mit großem Tamtam aus internen Papieren zitiert, die angeblich zeigen sollen, was die amerikanische Diplomatie wirklich denkt. Nun ja, wer auch nur einigermaßen das Weltgeschehen verfolgt, wird keine weltumstürzenden Erkenntnisse darin finden. Allzu häufig deckt sich das, was da angeblich in geheimen US-Dokumenten steckt, mit dem, was man in den handelsüblichen Medien (Spiegel etc.) schon seit Jahren zu lesen bekommt. Ja, man könnte mit einer gewissen ironischen Berechtigung sogar behaupten, dass die geheimen Diplomatenpapiere über weite Strecken nichts anderes als Kopien der lokalen Meinungsindustrie sind.

Und was ist so schlimm daran, wenn man die deutsche Bundeskanzlerin als Teflon-Merkel bezeichnet? Wenn das die ZEIT macht, dann ist das ok. Aber wehe es steht in einem Dokument des US State Department. Hallelujah!! In diesem Zusammenhang wäre es nun wirklich interessant, schon aus Vergleichsgründen, die entsprechenden Dokumente des iranischen Ausßenministeriums einzusehen. Bestimmt wären da einige spannende Äußerungen über europäische Politiker und Diplomaten zu finden! Aber diese Papiere sind ja - siehe oben - besonders schwer erhältlich! So müssen wir uns, leider, mit den Niederungen der US-Politik zufrieden geben.

Vorläufiges Fazit: wikileaks reitet also auf einer Welle der hochgepuschten Aufmerksamkeit, die aus nicht viel mehr als heißer Luft besteht. Was damit erreicht wird, hat weniger mit Transparenz zu tun, als mit vorsätzlicher Rufschädigung. Und vor allem: mit einem ausgeprägten Egotrip des wikileaks-Gründers. Das sich daraus ein erfolgreiches Geschäftsfeld von weltumspannender Größe machen lässt, muss man neidlos anerkennen.

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