2010/11/30

Moralisten am Werk

Zu den Großtaten der Altachtundsechziger gehört zweifellos die Politisierung des Privaten. Mit anderen Worten: Selbst das, was man üblicher Weise der Privatsphäre zurechnet, bekommt eine politische Dimension und kann im Zweifelsfalle genutzt werden, um jemand öffentlich in Misskredit zu bringen.

Dem Ganzen haftet der Geruch des Totalitären an. Auch Diktaturen schnüffeln mit Vorliebe im Privatleben ihrer vermeintlichen oder tatsächlichen Feinde herum, um irgend etwas "Handfestes" zu ergattern. Auch wenn dabei am Ende nichts unbedingt Sensationelles herauskommt, irgend ein pikantes Detail lässt sich immer aufspüren. Bei jemand, dessen Familie aus Deutschland (oder Österreich) kommt, hat man immerhin gute Chancen, die eine oder andere Verbindung zum NS-Regime "aufzudecken". So gibt es dieser Tage wieder sensationell Neues über die schwedische Königin Silvia und ihren Nazi-Vater zu berichten.

Da berichtet die SZ mit dem unvermeidlichen Unterton der Empörung, dass Silvias Vater, Walther Sommerlath, der seit 20 Jahren tot ist, "eben doch ein Nationalsozialist" war. Doch damit nicht genug. Er war überdies direkt in die Arisierung eines vormals jüdischen Betriebes involviert. Mit anderen Worten: Er hat einen persönlichen Vorteil aus der Tatsache gezogen, dass das Eigentum von Juden, die ihre deutsche Heimat verließen, von Staats wegen konfisziert und an arische Nachfolger übergeben wurde. Und noch immer nicht genug: Die Fabrik des Vaters produzierte nicht nur zivile Güter, was bisher jedes Kleinkind in Schweden und darüber hinaus wusste, sondern auch - man höre und staune - "Teile für Panzer und Luftabwehrkanonen". Zwar wird nirgends gesagt, um welche Teile es sich im Einzelnen gehandelt hat (vielleicht waren es ja bloß Dichtungsringe oder ähnliches), aber allein die Tatsache, dass irgend jemand in Deutschland während der NS-Zeit Teile für solches Teufelszeug gefertigt hat, lässt unser moralisches Empfinden aufwallen.

Und noch ein weiteres pikantes Detail wird uns nachgeliefert: Offenbar hat Sommerlath in früheren Jahren eiskalt gelogen, wenn er auf seine NS-Vergangenheit angesprochen wurde. Er sei niemals Mitglied der NSDAP gewesen, soll er gesagt haben. Doch jetzt wissen wir es besser: Er war dabei! Eine glatte Lüge!

Und was tut die Königin angesichts des heraufziehenden Schlamassels? Sie bemüht sich nach Kräften, den schwelenden Gerüchten neue Nahrung zu geben, indem sie in absolut stümperhafter Weise reagiert. Was Medienpolitik betrifft, könnte sie eine ganze Menge von anderen schwedischen Politikern lernen, etwa von Malmös sozialistischem Bürgermeister Ilmar Reepalu, dessen erklärtermaßen antiisraelische Politik unmittelbare Folgen für die jüdischen Bewohner der südschwedischen Stadt zeitigt. Sie packen langsam aber sicher ihre Koffer, weil sie es satt haben, einem anschwellenden muslimischen Antisemitismus ausgesetzt zu sein. Obwohl die Juden Malmös weder durch Gewaltexzesse noch durch ausufernde Kriminalitätsraten von sich reden machen, sondern nahezu ausschließlich Opfer antisemitischer Übergriffe sind, werden sie von Reepalu nicht in Schutz genommen. Stattdessen sympathisiert er offen mit seinen muslimischen Anhängern und macht die Juden selbst für ihr Schicksal verantwortlich: Schließlich hätten sie sich nicht ausdrücklich genug von der Politik Israels distanziert.

Das nennt man Chuzpe und bedarf tatsächlich keines weiteren Kommentars. Und was eigentlich zu einem politischen Erdbeben und möglicherweise sogar zum Rücktritt des Bürgermeisters führen müsste, wird von den selben Medien, die wieder einmal mit Verve im längst vergangenen Antisemitismus herum wühlen, mit feinem Schweigen übergangen. Auch das ist eine Art von Moral.

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