2012/04/09

Piratenweisheit

In den letzten Tagen wurde viel über die neuen Shooting Stars der deutschen Politik geschrieben: die Piraten.

Die Partei und ihre Anhänger bestehen im wesentlichen aus Leuten, die eine starke Affinität zum Internet und seiner Nutzung haben. Netzfreaks also.

Natürlich gäbe es eine Menge an Dingen, die man über diese etwas ungewöhnliche Partei schreiben könnte. Ich will aber nicht den allgemeinen Tenor wiederkäuen, sondern auf einen Punkt hinweisen, der meines Wissens noch nirgends in dieser Form angesprochen wurde. Es geht um die Tatsache, dass die Netzfreaks über viele Dinge einfach nicht Bescheid wissen.

Wie bitte? Im Internet zu Hause und ungenügende Kenntnisse über die Welt "da draußen"? Das macht staunen. Wurde uns nicht das Internet als die ultimative Quelle allen Wissens verkauft? Was man selbst nicht weiß, findet man bestimmt im Netz. Und dann gibt es eine Partei, die aus genau ausgewiesenen Internetkennern besteht, die jedoch von Tuten und Blasen keine Ahnung haben? Diese Leute sitzen an der Quelle - und können sie nicht anzapfen? Was tun die Leute den ganzen Tag?

Darüber kann man sich nur wundern. Bei genauerem Hinsehen wird die Sache allerdings weniger mysteriös. Zwar ist es richtig, dass das Internet ein wahrer Ozean an Informationen (qualitativ hochwertigen und - mehrheitlich - minderwertigen) ist. Wenn man allerdings keine Basis an entsprechenden Grundkenntnissen hat, dann wird man auch Schwierigkeiten haben, die Netzinformationen richtig einzuschätzen. Und genau hier könnte, so meine Vermutung, der Hase begraben liegen. Denn jede Information an sich ist völlig wertlos, wenn sie nicht in einen bestimmten gedanklichen Komplex eingeordnet wird und zu entsprechenden Schlussfolgerungen führt.

Man könnte das Spiel aber noch weiter treiben. Stellen Sie sich vor, der Staat hat beschlossen, das Studium der Medizin einzustellen, weil es völlig überflüssig sei, junge Menschen jahrelang durch die Unis zu jagen, wenn ohnehin alles, was es in der Medizin zu wissen gibt, im Internet verfügbar ist.

Plötzlich taucht da ein Wehwehchen auf, und Sie wenden sich an Ihren Netzdoktor, wo sich folgender hypothetischer Dialog entspinnt:

- Herr Doktor, ich habe Schmerzen in der Leistengegend. Können Sie mir helfen?
Arzt (wirft seinen Computer an): Lassen Sie mich mal googeln...Schmerzen in der Leistengegend...hmmm...Ja, da haben wir´s...250 000 Treffer! .... Hmmmm....Was könnte da am besten passen? ... Das hier sieht gut aus: die Therapie Facetwitt verspricht Linderung. Hat mehr als 170 000 Facebook-Freunde und über 25000 Twitter-Follower. Ich sage Ihnen: das sind Referenzen! ... Ja, und dann wird auch noch das Medikament Twittface empfohlen, das mehr als 800 000 Likes gesammelt hat. Ein absoluter Renner! In ein paar Tagen werden Ihre Schmerzen verschwunden sein!

Sieht so die Zukunft der Arztpraxis aus? Oder anders gefragt: Wäre das der Arzt Ihres Vertrauens? Nun ja, in der Politik sind wir offenbar nicht mehr weit von solchen Zuständen entfernt.

Nun wäre es allerdings unfair, die Dummheit und Inkompetenz allein auf Seiten der Piraten zu suchen. Ich selbst habe hochkarätige Politiker erlebt, deren Inkompetenz (auch auf ihrem eigenen Fachgebiet) wirklich erschreckend war. Der Unterschied dieser etablierten Politikhasen von den Piraten besteht hauptsächlich darin, dass erstere über einen (hoffentlich) gut ausgebildeten Stab von Mitarbeitern verfügen, der ihnen die Informationen nicht nur zuträgt, sondern sie auch entsprechend aufbereitet. Sobald sie jedoch von den vorgefertigten Schablonen abweichen müssen, sind viele Politiker völlig hilflos.

Übrigens: Eine Piratenpartei wurde zuerst in Schweden gegründet. Im schwedischen Parlament (Riksdagen) sitzt aber kein einziger Pirat.

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