2011/08/19

Grüne Bettlektüre

Aus dem Bezirkswahlprogramm 2011 der Grünen für Friedrichshain-Kreuzberg:
Auch Sondermerkmale bei Nachmodernisierung wie Parkettböden oder Vollverkachelung von Bädern können verhindert werden, allerdings unterliegen viele dieser Maßnahmen keiner Meldepflicht. Hier sind die BewohnerInnen aufgerufen, dem Bezirk entsprechende Vorhaben zu melden. 
Abgesehen von der Blockwartmentalität, die sich hinter solchen Sätzen verbirgt und auf die Götz Aly zu Recht hingewiesen hat, erstaunt vor allem das Faktum, dass nunmehr der Einbau von Parkettböden oder die qualitative Aufwertung von Badezimmern zu (beinahe) meldepflichtigen Vergehen mutierten. Was ist eigentlich der Judaslohn für so eine Meldung? Man möchte doch schließlich etwas davon haben, wenn man seinen Nachbarn anzeigt, nicht wahr? Leider schweigt sich das Wahlprogramm dazu aus. Stümperhaft!

Doch halt! Das wäre wohl allzu kapitalistisch gedacht und selbstredend entgegen dem Geist des grünen Wahlmanifests. Verraten, pardon: gemeldet, wird natürlich nur gegen gutes Gewissen. Wir wollen doch kein Kapital daraus schlagen, dass ein Anderer sein Eigentum verbessert.

Nächstes Zitat:
Für Milieuschutzgebiete verlangen wir die Einführung gebietstypischer Mieten, bei denen die ansässige Bevölkerung Maßstab ist.
Heißt das, dass in Zukunft die Mieter bestimmen, wie hoch die Miete zu sein hat? Hier scheint sich ein wahres Mieterparadies anzukündigen. Einfach toll ! So wird das Geschehen am Wohnungsmarkt völlig neu definiert. Aber eines ist durch eine derartige Politik zugegebener Maßen sichergestellt: Die sogenannten Milieuschutzgebiete bleiben erhalten. Ich liebe diesen Ausdruck, klingt irgendwie nach Naturschutzgebiet. Möglicherweise geht es ja hierbei um den Schutz einer bedrohten Art, die vor dem Aussterben gerettet werden muss. Wer weiß?

Konkret geht es wohl darum, dass - überspitzt formuliert - Leute, die bereits jetzt in einem Drecksloch wohnen, künftig so geschützt werden sollen, dass dieses Drecksloch auch weiterhin unverändert schäbig bleibt und sich nur ja nichts zum Besseren wendet. So erfüllen die Milieuschutzgebiete ihren Zweck.

Aber warum das Ganze? Hier der Hintergrund:
Die Verdrängung von Zahlungsschwachen durch höhere Einkommensgruppen (Gentrifizierung) ist keine akzeptable Entwicklung. 
Im Klartext bedeutet das: eine Gegend, die herunter gekommen ist, soll auch in Zukunft herunter gekommen bleiben. Nur nix ändern! Und schon gar nicht zum Besseren. Es gibt in Europa tausende Beispiele für Stadtteile, die einmal in voller Blüte standen und irgendwann im Lauf der Zeit einen markanten Abstieg erlebten. Und zwar in der Weise, dass sich nur eine bestimmte Klientel dort ansiedelte, was für die ursprünglich ansässige Bevölkerung schwerwiegende Konsequenzen hatte (bis hin zum faktischen Wertverlust der eigenen Wohnung). Mir ist nicht bekannt, dass sich irgend ein Wahlprogramm der Grünen jemals mit dieser Problematik auseinander gesetzt hätte. Wenn es jedoch darum geht, ein abgewirtschaftetes Viertel wieder mit neuem Leben zu erfüllen, dann regt sich der grüne Widerstand.

Noch eine Kostprobe:
Zur Demokratie gehört außerdem Entscheidungen zu ändern, wenn sich deren Grundlagen verändert haben.
Dieser Satz hat es in sich und bedeutet in letzter Konsequenz das Ende jeder Planungssicherheit. Ja mehr noch, das Ende jeder Rechtssicherheit. Denn wenn in Japan die Erde bebt, ändern sich bekanntlich in Deutschland die "Grundlagen" und demokratische Entscheidungen, die bereits unter Dach und Fach waren, werden einfach - schwupp-di-wupp - revidiert. Auch in Stuttgart haben sich erwiesener Maßen die "Grundlagen" geändert, als ein gewalttätiger Mob den Juchtenkäfer als schützenswerte Spezies entdeckte und somit die Früchte eines jahrzehntelangen demokratischen Entscheidungsprozesses einfach so zur Makulatur erklärte.

Wir sind schon gespannt, welche weiteren Änderungen von Grundlagen wir in Zukunft erwarten dürfen. Es werden jedenfalls spannende Zeiten.



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