2011/08/16

Äpfel und Birnen gemischt

...ergeben noch lange keine verdauliche Kost.

Zugegeben, es ist August, die klassische Sauregurkenzeit, wo man für jede Schlagzeile dankbar ist, weil es ja sonst nicht viel zu berichten gibt. Die Politiker sind im Urlaub, die meisten Medienleute auch. Und in den Redaktionsstuben sitzen scheinbar nur noch Praktikanten.

So ist wohl die Kraut-und-Rüben-Meldung des Handelsblattes über die schlimmste Havarie in der Nordsee seit 11 Jahren zu verstehen. (In einer früheren Ausgabe war von "Ölkatastrophe" die Rede). Was für eine Meldung! Und was für ein Superlativ!

Doch sehen wir uns das journalistische Meisterwerk etwas mehr im Detail an. Es ist als hätte der Autor einfach alles sofort in die Tastatur geklopft, was ihm während des Schreibens durch den Kopf jagte. Ungefiltert, ohne logischen Aufbau. Ein journalistischer Flickenteppich.

Gleich zu Beginn heißt es, aus der Ölplattform Gannet Alpha sei viel mehr Öl ins Meer geflossen "als bisher angenommen"

Und bereits im ersten Absatz beginnt es spannend zu werden. Royal Durch Shell sprach am Montag von 215 Tonnen Öl, die ins Meer geflossen seien. Am Ende desselben Absatzes wird auf das britische Energie- und Klimaministerium verwiesen, wo man - in sicherer Entfernung - die ausgelaufene Menge auf "einige hundert Tonnen Öl" schätzt. Da fragt man sich natürlich, wer die Lage besser einzuschätzen weiß: der Betreiber der Plattform (also Shell) oder die Ministerialmitarbeiter in ihren Londoner Amtsstuben. Die unterschiedlichen Angaben von "215 Tonnen" und "einigen hundert Tonnen" lassen auf ebenso unterschiedliche Kenntnisstände schließen.

Der zweite Absatz der Meldung bietet einen gemischten Salat vom Feinsten. Zitat:
Nach Angaben der britischen Behörden handelt es sich um den größten Störfall dieser Art seit mehr als einem Jahrzehnt: Im Jahr 2000 waren 500 Tonnen in die Nordsee geströmt. Im Jahr 2009 beispielsweise habe die komplette Menge Öl, die in die Nordsee geflossen sei, bei 50,93 Tonnen gelegen. Das Leck zwischen der Ölplattform „Gannet Alpha“ und einer Leitung war am vergangenen Mittwoch entdeckt worden.
Hier also die Zutaten:

- größter Störfall seit mehr als einem Jahrzehnt
- 500 Tonnen Öl in der Nordsee im Jahr 2000
- 50,93 Tonnen (welche Präzision!) im Jahr 2009
- das Leck wurde am Mittwoch letzter Woche entdeckt

Warum wird gerade auf das Jahr 2009 verwiesen? Wie sah es in den Jahren 2001 bis 2008 aus? Gab es da keine Öllecks? Was hat das Ganze damit zu tun, dass das Leck vergangenen Mittwoch entdeckt wurde?

Ein paar Absätze weiter wird ein interessanter Vergleich gezogen: Die Havarie der BP-Ölplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko, die sich am 20. April 2010 ereignete, hätte das Austreten von 5 Mio. Barrel zur Folge gehabt. Die Dimension des Shell-Unglücks beträgt nach gegenwärtigen Angaben etwa 1300 Barrel. Allerdings muss man sich die unterschiedliche zeitliche Dimension der beiden Fälle vor Augen halten. Bei BP dauerte es fast drei Monate, bis die Lage unter Kontrolle war, bei Shell ist es bislang weniger als eine Woche. Aber das verschweigt der Handelsblatt-Schreiber dezent.

Zu guter letzt muss natürlich das Sündenregister des Shell-Konzerns aufgeführt werden. Wahrscheinlich um die Dramatik zu steigern.
Der Mineralölkonzern hatte auch um das Jahr 1995 herum massive Kritik auf sich gezogen mit dem Plan, die ausrangierte Ölplattform „Brent Spar“ im Nordatlantik 2000 Meter tief zu versenken. Umweltschützer hatten den 15.000 Tonnen schweren und fast 140 Meter hohen Stahlkoloss vor den Shetland-Inseln besetzt. Der Konzern gab dem Druck schließlich nach und ließ „Brent Spar“ an Land zerlegen.
Der Praktikant (?) beim Handelsblatt ist wahrscheínlich zu jung, um ermessen zu können, was damals abging. Vielleicht war er ja auch einfach nur zu faul, um nach dem Eintrag Brent Spar zu googlen.  Dann hätte der Schreiberling nämlich erfahren, dass es sich bei der Brent Spar nicht um eine Ölplattform handelte, sondern um einen schwimmenden Öltank. Aber das nur als lästiges Detail am Rande.

Wie dem auch sei. Es schadet nicht, sich die damaligen Ereignisse kurz in Erinnerung zu rufen. Der Ölgigant Shell wollte seinen ausgedienten Hochseeöltank im Meer westlich von Irland versenken. Das war der Auslöser für die wohl größte Propagandashow, die jemals von Greenpeace abgezogen wurde. Dazu war scheinbar jedes Mittel recht. So behauptete die Umweltorganisation, an Bord der Brent Spar befänden sich nicht weniger als 5500 Tonnen giftiger Ölrückstände. Eine später durchgeführte Studie durch die unabhängige norwegische DNV (Det Norske Veritas) ergab eine Rückstandsmenge von maximal 100 Tonnen, was den von Shell gemachten Angaben entsprach. Greenpeace hat also, vermutlich um des propagandistischen Effekts wegen, die Gefahr um mehr als das 50-fache übertrieben. Alles in allem wäre der Umweltschaden bei einer Versenkung minimal gewesen, im Gegensatz zu dem von Greenpeace beschworenen Katastrophenszenario.

Kurz gesagt: Die Brent Spar-Geschichte eignet sich eben NICHT als Beleg für das umweltschädigende Verhalten der Royal Dutch Shell. Merkwürdig nur, dass sich die Greenpeace-Lügen bis heute in den Köpfen der Menschen gehalten haben. Lügen haben offenbar doch längere Beine, als man denkt.

Doch zurück zum Handelsblatt-Artikel. Man erinnert sich an den Beginn, wo es hieß, es sei viel mehr Öl ins Meer geflossen "als bisher angenommen." Allzu gerne hätte man in diesem Zusammenhang gewusst, wie hoch denn die Menge war, die man "bisher angenommen" hatte. Die Antwort darauf bleibt allerdings im Dunkeln. So kann man ungehemmt seiner Phantasie freien Lauf lassen. Eines ist immerhin sicher: Es ist alles schlimmer als "bisher angenommen".

Wie sagte schon Johann Nestroy vor mehr als 150 Jahren:

Die Welt steht auf kein´ Fall mehr lang. 





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