2011/05/19

Schwarmintelligenz

Ein Modebegriff, der mehr zur Verschleierung (nicht religiös gemeint!) beiträgt als zur Klärung von Sachverhalten. Wenn alle dasselbe (oder wenigstens fast dasselbe) denken, sind wir der Wahrheit am nächsten, sagen die Verfechter der Schwarmintelligenz. Kompakt ausgedrückt lautet das dann so: die Weisheit der Vielen!

Seit das Internet die Vielzahl an verfügbaren Informationen gegenüber dem Zeitalter der simplen Drucktechnik nochmals um Größenordnungen steigerte, scheinen wir einer goldenen Epoche der Schwarmintelligenz entgegen zu gehen. Aber ist es überhaupt wünschenswert, dass alle das gleiche denken? Sollte das der Sinn einer überlegenen Erkenntnis sein? Nach dem Motto: Wenn nur alle dasselbe glauben, wird´s schon richtig sein!

Irgendwie erinnert einen das an die perfekte Gleichschaltung. Wir denken im Gleichtakt und sind auch noch glücklich dabei. Ein Paradies für einen Diktator. Die Masse macht´s. In vielen wirtschaftlichen Dingen bestimmt. Und in der Demokratie nicht weniger. Wer mehr Stimmen auf sich vereinigen kann, gewinnt die Wahl. Aber bedeutet das dann auch, dass die Wahl gut war? Und zwar gut für alle, oder doch wenigstens für die meisten? Die Gegenbeispiele sind Legion.

Das Gerede von Schwarmintelligenz ist zwar hochgradig aktuell. Das Phänomen selbst ist jedoch nichts Neues. Schon immer versuchten Menschen anderen Menschen etwas aufzuschwatzen und ihnen damit eine bestimmte Weltsicht "nahezulegen". Und viele Dinge, die praktisch der gesamten Menschheit selbstverständlich erschienen, blieben Jahrhunderte lang unwidersprochen. Wie war das noch mit der Erde im Zentrum des Universums? Ein typisches Beispiel für Schwarmintelligenz. Ein besonders tückisches noch dazu, denn dieses Weltbild kam im wissenschaftlichen Gewand daher.

Und wer korrigierte diese kollektiven Irrtümer? Andere Schwärme? Nein, es waren einzelne Menschen, die sich dem Schwarm entgegen stellten. Und nicht nur das - sie hatten auch die besseren Argumente. Gewiss, manchmal dauerte es ein wenig, bis sich die Korrektur durchgesetzt hatte. Aber der Ausgangspunkt für diese Entwicklungen waren immer Individuen.

Nehmen wir ein anderes Beispiel aus der Wissenschaftsgeschichte, die Relativitätstheorie. Tausende von Wissenschaftlern haben sich seit ihrer Entstehung mir ihren unterschiedlichsten Aspekten beschäftigt, und inzwischen sind einige ihrer zentralen Aussagen in das kollektive Gedächtnis eingegangen. Dennoch steht unzweifelhaft ein Einzelner an ihrem Ursprung. Und wenn der nicht gewesen wäre, dann hätten sich die Heere von Epigonen mit anderen Dingen beschäftigen müssen, und das kollektiven Gedächtnis würde nichts von schrumpfenden Maßstäben und unterschiedlich schnell gehenden Uhren wissen.

Nein, als Erkenntnismittel ist Schwarmintelligenz schlichtweg ungeeignet. Die Pioniere, die uns den Weg weisen, sind immer Einzelkämpfer. Und der Schwarm kommt erst dahinter.

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