2010/10/08

Glaubensfragen

Stellen wir uns folgendes Szenario vor: ein Meinungsforschungsinstitut wendet sich an eine Gruppe von Menschen (repräsentativer Querschnitt der Bevölkerung, versteht sich) mit der Frage: Wie oft, glauben Sie, hat der US-Präsident Sex mit seiner Gattin?

Egal was dabei herauskommt, das Ergebnis ist völlig irrelevant! Genauso gut könnte man die Menschen auf der Straße danach fragen, wie oft - ihrer Meinung nach - Meteoriten auf dem Mars einschlagen oder ähnliches.

Derartige Fragen sind immer dann populär, wenn man Stimungen im Volk testen oder, noch besser, manipulieren will. Selbst wenn mehr als 90 % der Befragten meinen, dass Tony Blair ein Lügner sei, bedeutet das noch keineswegs, dass dies auch der Faktenlage entspricht. Im Zweifelsfalle müsste eben ein Gericht darüber entscheiden, ob er in einer bestimmten Sache die Wahrheit gesagt hat oder nicht.

Dennoch ist diese Art der Volksbefragung keine vergebliche Mühe. Denn wer erst mal auf diese "wissenschaftlich saubere" Art angeschwärzt ist, der kommt von diesem Manko auch dann nicht los, wenn unabhängige Instanzen das Gegenteil zweifelsfrei belegen. Und das klare Votum der großen Zahl lässt sich auch durch noch so viele Gegenbeweise nicht außer Kraft setzen.

Der Spiegel, eines der sogenannten Qualitätsmedien des deutschsprachigen Raumes, lässt uns gelegentlich an derartigen Leckerbissen teilhaben. So auch in einem kürzlich veröffentlichten Artikel, in dem es um die Verteilung des Reichtums in den USA geht. Genau genommen geht es darum, was die US-Bürger über die Verteilung des Reichtums in ihrem Land denken. Und tatsächlich kommt die Studie der Universitäten Harvard und Duke (haben diese renommierten Institute schon aufgehört, sich mit ernsthafter Wissenschaft zu beschäftigen?) zu einem Ergebnis, das man eigentlich hätte erwarten müssen: die repräsentative Gruppe unterschätzte doch glatt das Ausmaß der Ungleichverteilung des Reichtums in den Vereinigten Staaten! So glaubt diese ausgewählte Gruppe mehrheitlich (es wird nicht gesagt wie groß diese Mehrheit ist), dass die reichsten 20 % ca. 60 % des gesamten Volksvermögens besitzen. Tatsächlich besitzt dieses oberste Fünftel der Bevölkerung jedoch 84 % des Reichtums! Das beweist doch eindeutig, dass die Lage noch viel schlimmer ist als die Leute meinen!  Skandalös so etwas! Jetzt fehlt nur noch der Hinweis, dass diese Fehleinschätzung durch gezielte Medienmanipulation der Superreichen zustande gekommen ist. Man kann ja nie wissen!

Aber es kommt noch besser. In derselben Studie wurden die Menschen ebenso gefragt, wie ihrer Meinung nach eine ideale Reichtumsverteilung aussehe. Das Ergebnis: das wohlhabendste Fünftel der Bevölkeung sollte nicht mehr als ein Drittel des Reichtums auf sich vereinigen.

Auch wenn diese Studie mit ernster Miene daherkommt - ihre Ergebnisse sind völlig irrelevant. Ebensogut hätte man die repräsentative Gruppe danach fragen können, wie groß die Kartoffelernte der letzten Jahre war.

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