2010/10/19

Frankreich verstehen

Will man den Versuch machen, Frankreich zu verstehen, so findet man sich unversehens in Paradoxien gefangen. Das Land galt, für einige Jahrhunderte, als ein Hort fortschrittlicher Ideen. Die hehren Ziele der französischen Revolution, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, wurden zu Leuchttürmen einer neuen Gesellschaftsordnung und damit Vorbild weit über die Landesgrenzen hinaus.

Die Umwälzung bestehender Verhältnisse bringt allerdings auch das Janusartige des Fortschritts zutage, wofür gerade die Geschichte Frankreichs ein beredetes Beispiel liefert. So war der Weg zur vielbeschwordenen Brüderlichkeit mit abgeschnittenen Köpfen gepflastert. Ja, so ist das in Frankreich: die Gesellschaft, das hießt die Menschen werden besser, aber zuvor dürfen sie nochmals alle Schlechtigkeit herauslassen. Der Süße der gewonnenen Früchte tut das keinen Abbruch. So konnte man über diverse Bestialitäten noch hinweg sehen mit dem Hinweis, dass das alles nur dem Fortschritt diene.

Ähnliches gilt für alle folgenden Aufwallungen der französischen Volksseele bis in unsere jüngste Vergangenheit. Die 68er machten zwar auch eine Menge Radau, allerdings mit dem Ziel, die Gesellschaft umzugestalten und zum Positiven zu verändern. Ob und wie sehr das gelungen ist, soll hier nicht betrachtet werden.

Wenn man also die Geschichte Frankreichs bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts betrachtet, so lässt sich sagen, dass alle Volksaufstände letztlich dem Ziel des Fortschritts dienten. Umgekehrt konnte man trivialerweise feststellen, dass konservative Geister keine Revolutionen anzetteln.

Letztere Erkenntnis wird mit den jüngsten Ereignissen zu Grabe getragen. Inzwischen randaliert das Volk, weil es GEGEN DIE VERÄNDERUNG ist. Das hat eine neue Qualität. Die Leute, die jetzt alles kurz und klein schlagen, wollen paradoxerweise, dass sich NICHTS ändert. Mit anderen Worten: die bewahrenden, erhaltenden, also im Grunde genommen konservativen Elemente proben den Aufstand.

Es geht nicht mehr, wie in früheren Zeiten, darum,. etwas zum Besseren hin zu verändern, sondern einzig und allein darum, einer angestrebten Veränderung Einhalt zu gebieten. Wer es bisher noch nicht glaubte, der kann es hier deutlich sehen: Frankreich ist immer für eine Überraschung gut.

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