2014/11/26

Muss sich Wissenschaft rechtfertigen?

Wir leben in Zeiten, da alles (oder fast alles) einer Rechtfertigung bedarf. Will man auf seinem eigenen Grund und Boden einen Baum fällen, so ist das ohne stichhaltige Gründe (über deren Stichhaltigkeit Vater Staat höchstselbst entscheidet) nicht möglich.

Der Rechtfertigungszwang macht auch vor der Wissenschaft nicht halt. Und auf den ersten Blick scheint das eine gewissen Plausibitlität zu besitzen. Schließlich fließen Millionen, mitunter Milliarden an öffentlichen Geldern in Forschungsprojekte. Dem Steuerzahler zu vermitteln, man gebe dieses Geld nur zu dem Zeck aus, um die persönliche und professionelle Neugier der Wissenschaftler zu befriedigen, scheint wenig aussichtsreich.

Aber so ist es nunmal. Wissenschaft ist in erster Linie dem Erkenntnistrieb des Menschen geschuldet. Oder meint irgend jemand, dass die griechischen Atomisten vor zweieinhalb Tausend Jahren ihre Ideen nur entwickelt haben, weil sie sich davon eine Steigerung des (griechischen?) Bruttoinlandsprodukts erhofft haben? Weil sie das antike Griechenland wettbewerbsfähiger, innovativer machen wollten? Nein, sie hingen ihren philosophischen Spekulationen nach, weil sie das Spiel der Gedanken liebten. Natürlich versuchten sie, plausible Argumente für die Wahrheit ihrer Weltsicht zu finden.Die reale Welt als Spiegel ihrer Spekluationen.

Aus dem Spiel der Gedanken ist inzwischen ein Spiel mit mehr oder weniger teuren Geräten geworden, was jedoch nichts am Grundlegenden ändert. Auch hier wird gespielt, ausprobiert, verworfen - und weitergespielt.

In manchen Bereichen ist Forschung in der Tat sehr zweckorientiert. Man denke an die Erforschung von Krankheiten wie Ebola oder Vogelgrippe. Hier ist die Sinnhaftigkeit für jeden, auch den nicht Betroffenen, unmittelbar einsichtig. Aber nicht jede Forschung lässt sich auf diese praktische Anwendbarkeit herunterbrechen.

Die Grundlagenforschung dient zu allererst dem Zweck, Erkenntnis zu gewinnen. Zu wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält, ist nicht nur ein faustisches Motiv, sondern der Beweggrund aller wahren Wissenschaftler. Als Einstein vor über hundert Jahren seine bahnbrechenden Arbeiten über die Relativitätstheorie (und andere Gegenstände) veröffentlichte, ging es keine Sekunde darum, mit diesen Erkenntnissen das Leben der Menschheit zu verändern. Für Einstein war es spannend, ein ganz bestimmtes grundlegendes Problem zu lösen. Ganz ähnlich verhält es sich mit Kepler, Galilei, Newton, Heisenberg und all den anderen, die am Gebäude der neuzeitlichen Wissenschaft mitgewirkt haben.

Als Heisenberg sich aufmachte, ein grundlegendes Problem der damaligen Atomphysik zu lösen, ging es ihm in erster Linie darum, unser Verständnis vom Aufbau der Materie voranzubringen. Heraus kam die Quantenmechanik. Dass knapp hundert Jahre später die Funktionsweise von Millionen von Smartphones auf eben diesen Erkenntnissen beruhen würde, war für ihn natürlich nicht absehbar.

Ebenso verhält es sich mit der Astronomie und der Weltraumfahrt. Warum wollen wir immer tiefer ins Weltall hinausblicken? Warum wollen wir zu anderen Himmelskörpern reisen? Ganz einfach, weil es spannend ist. Weil es eine Herausforderung ist. Und ganz nebenbei können dabei Dinge herauskommen, die Nutzen für die Menschheit haben. Können, nicht müssen!

Ich finde es immer ein bisschen affig, wenn in den Medien über Grundlagenforschung berichtet wird und man sogleich eine Begründung, die eigentlich eine Rechtfertigung ist, mitgeliefert bekommt: Das LHC am CERN macht Experimente, die es erlauben, den Ursprung des Universums zu verstehen. Die Raumsonde Rosetta fliegt zu einem Kometen, um etwas über den Ursprung des Lebens in Erfahrung zu bringen. Wirklich? Woher will man das im Voraus wissen?

Ich vergleiche das gelegentlich mit der Besteigung eines Berges. Angenommen ich bereite mich auf die Besteigung des Mount Everest vor, und jemand fragt mich, warum ich das mache. Wenn ich nun antwortete, ich mache das nur, um herauszufinden, wie hoch meine Blutdruckwerte auf dem Gipfel sind, wird mich mein Gesprächspartner vermutlich mit großen Augen ansehen. Natürlich ist eine derartige Argumentation blanker Unsinn. Wenn ich auf den Mount Everest will, dann einzig und allein deshalb, weil ich Lust dazu habe. Weil ich eine persönliche Herausforderung suche.

Nicht viel anders ist es bei der Wissenschaft. Man muss nicht ständig mit dem Ursprung des Lebens oder des Universums argumentieren, um ein neues Teleskop oder eine Weltraummission zu rechtfertigen. Das sind vorgeschobene Gründe, und aus meiner Sicht auch völlig unnötig.

Warum ich das meine? Nun stellen wir uns vor, die aktuelle Rosetta-Mission liefert völlig neue und überraschende Erkenntnisse über den Ursprung des Universums, die alles Bisherige über den Haufen werfen. Angenommen, die gewonnen Erkenntnisse deuten darauf hin, dass das Universum tausend Mal älter ist als bisher angenommen. Dann wäre - im Sinne der populären Rechtfertigung - alles in Butter.

Wenn allerdings der - deutlich wahrscheinlichere - Fall eintritt, dass bestenfalls die bestehende Theorie bestätigt wird, dann haben wir sozusagen nichts gewonnen. Wir wissen also nicht mehr als vorher. Und die Rechtfertigung fällt streng genommen in sich zusammen.

Das Bedürfnis zur Rechtfertigung ist keineswegs auf öffentlich finanzierte Forschungsprojekte beschränkt. Auch solche, die Geld von Privaten einsammeln wollen, stellen neue Erkenntnisse in Aussicht, die über das bislang Gewusste deutlich hinausgehen sollen. Ein britisches Konsortium bemüht sich zur Zeit darum, Spendengelder für eine Mondmission in 10 Jahren einzuwerben. Auch hier wird die Nummer mit dem Ursprung unseres Planeten und des Mondes gespielt:
Lunar Mission One will make a huge contribution to our understanding of the origins of our planet and the Moon,
So jedenfalls einer der Organisatoren. Nun denn, wenn das für viele Grund genug ist, ihr Portemonnaie zu öffnen. Warum auch nicht?

Das Problem, das ich dabei sehe, ist, dass dieses Rechtfertigungsbedürfnis eines Tages kontraproduktiv wird. Denn Wissenschaft ist zum allergrößten Teil ein Routinegeschäft. Vieles, allzu vieles, was Wissenschaftler machen, endet im Nirvana. Viele, allzu viele Erkenntnisse sind lediglich Trippelschritte. Daran ist nichts Schlechtes. So funktioniert Wissenschaft nun mal. Es ist wie bei Startups, wo bekanntlich auch der weitaus größte Teil nach kurzer Zeit verschwindet. Und nur ganz wenige Projekte haben das Zeug zum großen Durchbruch.

Nehmen wir nun an, irgend jemand führte ein umfangreiches Audit durch, um herauszufinden, wie viele bahnbrechende Resultate die Wissenschaft tatsächlich gezeitigt habe. Das Ergebnis dieses Audits wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit sehr enttäuschend. Denn die meisten hochgesteckten Ziele werden nie erreicht. Nun könnten daraus manche den Schluss ziehen, die Wissenschaft sei ihr Geld nicht wert. Eine Kettenreaktion wäre die Folge, an deren Ende nur noch ein winziger Rest an Forschungsagenden übrig bliebe.Unsere Welt wäre ärmer gworden. Nicht im materiellen Sinn, wohl aber im geistigen.

Ist es das wert? Ich meine nein. Denn auch wenn die meisten wissenschaftlichen Resultate auf dem Schrotthaufen der Geschichte landen, so müssen wir uns dennoch die Frage stellen, wo wir ohne Wissenschaft wären. Im Mittelalter. Bestenfalls.




 



No comments:

Post a Comment