2011/07/11

Arabische Wissenschaft

Es gibt kaum einen Mythos, der in unseren pc-getränkten Tagen eifriger gepflegt wird als jener der arabischen bzw. muslimischen "Wissenschaft". Dies ist umso verständlicher, als es hinsichtlich der Errungenschaften der arabischen Welt während der letzten Jahrhunderte nicht viel zu beríchten gibt. Das Fehlen irgendwelcher positiver Beiträge zur Menschheitsgeschichte wird noch dadurch verstärkt, dass die zeitgenössischen Nachrichten aus jenem Kulturkreis eben auch nicht gerade erbaulich sind: gekränkter Stolz, Minderwertigkeitsgefühle, dazu ein ausgeprägtes Bewusstsein der eigenen Überlegenheit, all das mixt sich zu einem Treibsatz, der nicht nur Gewalt und Terror heranzüchtet, sondern gleichzeitig deren wortreiche Entschuldigung. Denn schuld sind bekanntlich immer nur die Anderen.

Angesichts dieser Sachlage ist man naturgemäß froh, einen Gegenstand zu haben, der vermeintlich ganz eindeutig die großen Beiträge der arabischen Wissenschaft, wenn nicht gar deren klare Überlegenheit während des europäischen Mittelalters beweist. Denn, so lautet die kaum verhüllte Botschaft, ohne die arabische Wissenschaft hätte es die moderne europäische nie gegeben.

Nun hat es in der Tat eine Reihe arabischer Wissenschaftler gegeben, die Beiträge zu dem einen oder anderen Spezialgebiet lieferten. Es sollte jedoch nicht übersehen werden, auf wessen Schultern (um mit Isaak Newton zu sprechen) die muslimische Wissenschaft stand: es war der reiche Fundus der Griechen. Ein Beitrag, der kürzlich auf SPON veröffentlicht wurde, liefert - wenngleich unfreiwillig - einen weiteren Beweis für diese These.

Selbst die größten Gelehrten Arabiens, Avicenna und Averroes, sind ohne den Griechen Aristoteles nicht denkbar. Ihre größte Eigenleistung bestand darin, dessen umfangreiches, ja geradezu enzyklopädisches Werk zu kommentieren. Darin waren sie wirklich große Klasse. Aber Kommentieren ist nun mal etwas völlig anderes als ein ein eigenes philosophisches System zu entwickeln. Es ist richtig, dass diese Kommentare im westlichen Denken einen gewissen Einfluss entfalteten. Aber so zu tun, als wäre ohne die Vermittlung der Araber, nichts aus der abendländischen Wissenschaft geworden, ist schlicht un einfach unzutreffend. Im Gegenteil. Bis zum Jahr 1453, als Byzanz vom Osmanischen Reich eingenommen wurde, gab es einen regen wissenschaftlichen Austausch zwischen den abendländischen und den byzantinischen Gelehrten.

Immer wieder werden die Leistungen der Araber auf dem Gebiet der Mathematik hervorgehoben. Zwar ist es richtig, dass hier, insbesondere auf dem Gebiet der Algebra und der Trigonometrie, einige Fortschritte erzielt wurden. Gleichwohl wird man herausragende Figuren, wie sie das antike Griechenland kannte, vergeblich suchen. Euklid und Archimedes, die bedeutendsten Mathematiker des Altertums, hatten unter den arabischen Zunftgenossen nicht ihresgleichen. Gewiss war es auch die Komplexität des von den Griechen verwendeten Zahlensystems, die die Entwicklung einer leistungsfähigen Arithmetik und Algebra weitgehend verhinderte. Die Araber waren hier mit ihrem Zahlsystem, das seinerseits indische Wurzeln besaß, eindeutig im Vorteil.

Auch die Astronomie gilt als eine Paradedisziplin der Araber. Nun ja, über den Wüsten ist der Himmel meistens trocken. Man hat also perfekte Beobachtungsbedingungen. Und das war zweifellos eine Stärke der arabischen Astronomie. Sie stellten einen reichen Fundus von Beobachtungsdaten zusammen. Und auch hier sehen wir einen zentralen Unterschied zu ihren griechischen Vorläufern. Diese scheinen wesentlich mehr Gewicht auf die Herausbildung astronomischer Modelle gelegt zu haben. Das Sphärenmodell des Ptolemäus, das erst von Kopernikus zu Fall gebracht werden sollte, fand unter den arabischen Astronomen keinen ernsthaften Herausforderer.

Kurz gesagt, der viel beschworene Einfluss arabischer Wissenschaftler auf ihre abendländischen Nachfolger wird ganz einfach überschätzt. Und zwar aus ideologischen Gründen, wie ich meine. Gewiss mag es da und dort eine ideelle Verbindungslinie geben. Aber jene Titanen des europäischen Geistes wie Kopernikus, Kepler, Galilei, Newton etc. brauchten bestimmt keine Anleihen bei irgendwelchen muslimischen Gelehrten zu machen.

Wie stark das ideologische Vorurteil bei Verfechtern der arabischen Wissenschaft ist, wird aus folgendem Zitat klar:

Manche Orientalisten sträuben sich gegen die Annahme, dass der Elixier-Gedanke aus China stamme. Sie argumentieren, dass es keine chinesischen alchemistischen Schriften gäbe, welche ins Arabische übersetzt worden seien. Sie ignorieren die entsprechende Literatur und lassen sie bei ihren eigenen Arbeiten bewusst außer Acht. (K. Wulff, Naturwissenschaften im Kulturvergleich) 

Wenn eine Kultur wie die islamische in früheren Zeiten derart überlegen gewesen sein soll, wie das manche Leute darstellen, dann fragt man sich, wie es dazu kam, dass diese Überlegenheit verloren gegangen ist. Die Antwort darauf dürfte ziemlich eindeutig sein, wird aber von eben diesen Leuten diskret verschwiegen.

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