2014/05/26

Blendend geblufft

Vor einigen Jahren wurde ich Zeuge einer bizarren Szene: Vor einer Versammlung internationaler "Experten" hielt ein Professor einen Vortrag. Es ging um das Thema Energie. Zum Abschluss seines Vortrages hatte er noch einen (aus seiner Sicht) besonderen Leckerbissen parat. Er hantierte virtuos mit Wahrscheinlichkeiten für das Ende der Lebendauer von Kraftwerken. Abgesehen davon,  dass das von dem Professor vorgestellte "Modell" von etwas dubioser Aussagekraft war, gab es noch etwas anderes, was mir zu denken gab. Die Wahrscheinlichkeiten seines Modells addierten sich nämlich zu Zahlen weit jenseits der 100% auf.

Dabei waren die Zahlenkolonnen gar nicht so lange. Wenn man einigermaßen Kopfrechnen konnte, dann wurde einem innerhalb von Sekunden klar, dass hier etwas nicht stimmte.

Kein Mensch sagte etwas. Ich auch nicht, nahm mir aber vor, nach dem Vortrag direkt mit dem Professor zu reden und ihn zu testen. Und tatsächlich - auch hier zeigte sich, dass der gute Mann nicht Herr seiner Zahlen war. Er mochte ja etwas von Kraftwerkstechnik verstehen, der Umgang mit Wahrscheinlichkeiten gehörte jedoch definitiv nicht zu seinen Stärken.

Wie dem auch sei. Was mich am meisten erstaunte, war der Umstand, dass niemand im Publikum auf diesen offensichtlichen Fehler hinwies. Dafür kann es natürlich mehrere Gründe geben.

Vielleicht waren die Zuhörer schon etwas müde und nicht mehr voll konzentriert. Vielleicht waren sie einfach nur desinteressiert und wollten die Dinge eigentlich gar nicht so genau wissen. Vielleicht war ihnen das Faktum unbekannt, wonach die Wahrscheinlichkeiten für das Eintreten unabhängiger Ereignisse zusammen genommen maximal 100 % betragen dürfen. Vielleicht war es ihnen einfach nur peinlich, sich in der Öffentlichkeit eine Blöße zu geben.

Wie immer dem auch gewesen sein mag, der Vortrag war ein voller Erfolg. Insbesondere für den Professor, denn immerhin war sein Forschungsprojekt ja mit gutem Steuergeld finanziert worden. Man stelle sich vor, jemand hätte beim Abschlussvortrag auf einen derartig elementaren Fehler hingewiesen. Das hätte auch schlecht für die Geldgeber ausgesehen. Also doch lieber schweigen (falls es überhaupt aufgefallen ist, wie gesagt).

An diese Begebenheit musste ich denken, als ich auf SpiegelOnline einen Artikel über gekonntes Bluffen im Büro las. Ja, es stimmt schon - manchmal kommt man mit Spiegelfechterei ganz schön weit. Schade eigentlich. Vor allem für jene, die wirklich etwas drauf haben, aber es nicht schaffen, sich in Szene zu setzen.

Nun, solange die Anzahl der Spiegelfechter und ihr Einfluss nicht allzu groß sind, sollten wir uns keinen Kopf darüber machen. Bedenklich wird es erst, wenn die Spiegelfechterei zum Volkssport wird und das Sein gegenüber dem Schein ins Hintertreffen gerät.



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