2011/10/17

Fehlbesetzung

Seit Monaten ist es unübersehbar: Es tut sich etwas in der arabischen Welt. Frühlingsgefühle überall, bis in den Herbst hinein (und wer weiß wie lange noch), garniert mit gelegentlichen Gewaltorgien (auch gegen Ungläubige, aber nicht nur). Macht aber nix. Wir im Westen sind stolz darauf, dass die Generation Facebook endlich das Szepter in die Hand nimmt und den energiepolitisch sensibelsten Teil unseres Planeten erfolgreich destabilisiert.

Bei so viel Aufbruchsstimmung kann man in unserem Teil der Welt jedoch nicht zurückstehen. Es sähe ja so aus, als hätte nur die arabische Jugend (mit oder ohne Vollbart) Feuer in der Seele, während wir uns vor dem Fernseher räkeln. Das kann so nicht bleiben, mögen sich einige Vollzeitaktivisten gedacht haben und suchten sich ein passendes Thema, um auch mal in den Medien präsent zu sein. Occupy Wall Street wurde daraus.

Dass es immer ein paar Leute gibt, die gegen irgendetwas sind, ist nicht weiter erstaunlich. Entscheidend sind vor allem zwei Dinge: erstens wie sich die Protestler verhalten, und zweitens wie das System mit den Protesten umgeht. Dieses Wie ist irgendwo auf einer Skala zwischen gewaltsam und gewaltlos angesiedelt.

Nun ist die westlich-demokratische Art mit Protesten umzugehen, relativ handzahm verglichen mit dem, was man üblicherweise aus dem Nahen Osten zu hören bekommt. Die politische Klasse hat eben Angst, dass die Reaktion der Sicherheitskräfte zu drastisch ausfallen könnte. Es ist aus ihrer Sicht eben leichter verschmerzbar, wenn drei Menschen in einer Athener Bankfiliale durch das Werk der Chaoten zu Tode kommen, als wenn drei gewaltsame Demonstranten im Straßenkampf ihr Leben verlören. Gott behüte! Die Medien würden sich auf die Behörden und die verantwortlichen Politiker einschießen. Der zuständige Minister müsste zurücktreten und einige Beamte würden vom Dienst suspendiert. Wenn man sich die Verletztenzahlen bei derartigen Zusammenstößen ansieht, dann ist (zumindest in Deutschland) üblicherweise die Zahl der Verletzten auf Seiten der Polizei stets deutlich höher als diejenige auf Seiten der Demonstranten. Hieraus lassen sich Rückschlüsse auf die Vorgehensweise der jeweiligen Seite ziehen.

Abgesehen von der schlechten Presse kann man sich aber auch andere Gründe für das zurückhaltende Verhalten der Polizei vorstellen. Schließlich könnten sich auf Seiten der Protestler eine Menge politischer Talente befinden, die man doch nicht so einfach verheizen sollte. Es soll ja auch Streetfighter gegeben haben, deren Marsch durch die Institutionen im Ministeramt endete. Auf solche Hoffnungsträger will man doch nicht verzichten, oder?

Doch zurück zu OWS. Nachdem die Medien zunehmend über deren Aktivitäten und Anliegen berichteten, wurde es unausweichlich, dass auch die Politik Stellung beziehen musste. Außerdem begann sich die Bewegung - dank Facebook (?) und Medien - allmählich auf andere Länder auszubreiten. Und da die Medien auf OWS und deren friedliche Demonstrationspraxis überwiegend positiv reagierten, galt es die bestehende Stimmung (im Volk oder doch eher in den Medien?) eilig aufzunehmen. Wer zu spät kommt, den bestraft.... Man kennt das.

Und genau hier trat ein Paradoxon zu Tage, dass einigen Wohlmeinenden entgangen sein dürfte. Nicht nur, dass sich Politiker mit Forderungen solidarisierten, die ihrem eigenen Wirken entgegenstanden. Vielmehr beweist es ein gehöriges Maß an Chuzpe, wenn sich Vertreter der politischen Klasse, deren Agenda aus Schulden machen, Schulden machen und nochmals Schulden machen bestand, nun gegen jene wenden, die ihnen beim Schulden machen am treuesten zur Seite standen, nämlich die Banken. So kommt zur Unfähigkeit, die selbst verantwortete Krise zu meistern, auch noch die Dreistigkeit, anderen den Schwarzen Peter dafür zuzuschieben. Und diese Leute wundern sich darüber, dass ihre Glaubwürdigkeitswerte stets am unteren Ende der Skala angesiedelt sind?

Gewiss, die Banken tragen auch ein gehöriges Maß an Verantwortung für den gegenwärtigen Schlamassel, und es wäre, aus meiner bescheidenen Sicht, nur gerecht, wenn man die eine oder andere einfach gegen die Wand fahren ließe (andere Betriebe können auch pleite gehen). Aber genau  hier klinken sich wieder die Politiker ein, die unablässig daran arbeiten, gerade das zu verhindern. Oder ist die Bankenschelte einfach nur der Preis für ihren selbstlosen Einsatz?

Auf den arabischen Frühling folgt der europäische Herbst. Bald wird es Winter. Mal sehen, was dann kommt.

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