2010/12/14

Mythen

Wenn jemand etwas Ungewöhnliches tut, ist man immer leichtfertig mit der Begründung zur Hand: Er tickt eben nicht ganz richtig. Damit hat man eine einfache Erklärung, die einem weitere Nachforschungen, Begründungen, Argumente erspart. So gesehen bleibt man immer an der Oberfläche eines Phänomens hängen, das in Wahrheit tiefer liegende Ursachen haben kann.

Und tatsächlich. Wer sprengt sich schon freiwillig in die Luft? Das kann doch nur ein Irrer sein. Einer, der eben von der Norm abweicht und eben deshalb abnormal ist. Im Fall des jüngsten Selbstmordattentats in Schweden lieferten unter anderem muslimische Vertreter diese Art von Erklärung, die dann auch zum Teil von den Medien aufgenommen wurde. Ein Imam äußerte ausdrücklich den Verdacht, dass der Attentäter ein mentales Problem gehabt habe. Und das, noch bevor irgend etwas über die Identität des Selbstmordbombers bekannt war. Damit ist der Islam offensichtlich aus dem Schneider.

Wie sich allerdings inzwischen zeigte, ist die Sache nicht so einfach. Die Radikalisierung des jungen Mannes lässt sich sonnenklar nachvollziehen. Man weiß auch sehr genau Bescheid über seine Lebensumstände, die - man höre und staune - auf eine fast perfekte Integration in die schwedische Gesellschaft schließen lassen. Es wäre nicht der erste derartige Fall, dass ein junger Muslim, der vollkommen integriert scheint, plötzlich eine 180-Grad-Wendung vollzieht. Es ist an der Zeit, sich von dem Mythos zu verabschieden, es sei nur die mangelnde Integration schuld daran, dass Muslime eine Anfälligkeit für den radiaklen Islam zeigen.

Im übrigen deutet nichts darauf hin, dass der junge Mann in psychiatrischer oder psychologischer Behandlung gewesen sei. Jeder Hinweis auf ein etwaiges mentales Problem ist somit völlig aus der Luft gegriffen. Stattdessen ist es nunmehr offensichtlich, dass er unter den Einfluss radikaler Muslime geriet. Die Aussage des bereits erwähnten Imams, wonach der Attentäter den Islam für seine Zwecke in Geiselhaft genommen habe, verkehrt sich vor diesem Hintergrund in ihr glattes Gegenteil. Es sieht vielmehr so aus, als wäre der lebenslustige, freundliche Junge von nebenan unter dem Einfluss des Islams geradezu umgepolt worden. Damit wäre ein weiterer Mythos ad Absurdum geführt.

Mythen sind nichts anderes als mehr oder weniger schöne oder plausible Geschichten, die uns allerdings dann, wenn wir nach der Wahrheit suchen, die Sicht versprerren. Es ist dringend geboten, uns von jenen allzu simplen und schlichtweg falschen Mythen zu verabschieden, die uns bei der Auseinandersetzung mit einem Phänomen im Wege stehe, das im Begriff ist, unsere demokratische Ordnung zu erschüttern.

No comments:

Post a Comment