2011/11/02

Wer braucht Terroristen?

Eine rhetorische Frage mit einer klaren Antwort: Niemand!

Trotzdem scheinen sie unser Denken zu beherrschen. Sicherheitsmaßnahmen hier und dort. Kürzlich fiel mir auf dem Wiener Flughafen wieder ein alter Witz von Otto aus den 1970er oder 80er Jahren ein:

Wenn ich auf den Flughäfen nicht dauernd nach Waffen abgesucht würde, hätte ich überhaupt kein Sexualleben mehr. 

Das ist natürlich extrem überspitzt, trifft aber einen wahren Kern. Jeder, aber auch wirklich jeder wird als potentieller Terrorist betrachtet, damit sich diejenigen, die tatsächlich terroristische Absichten hegen, nicht ausgegrenzt fühlen müssen. Also darf jeder an einer Behandlung teilhaben, die einem Verdächtigen vorbehalten sein sollte. Es wird so getan, als umfasse der Kreis der Verdächtigen die Gesamtheit aller Flugreisenden. Schließlich soll es ja keine Sonderbehandlung geben, sondern alle sollen der gleichen Prozedur unterworfen werden.

Wenn wir auf das vergangene Jahrzehnt zurückblicken, dann fällt auf, dass es zwar einige Terroranschläge gegeben hat, die in ihrer weitaus überwiegenden Mehrzahl auf das Konto einer bestimmten ideologischen Strömung geht, deren Namen hier nicht genannt werden soll (potentielle Volksverhetzung!). Das macht aber nichts, denn jeder weiß ohnehin, wer gemeint ist. Das ist dann sozusagen jene Maus, die die Katze der politischen Korrektheit nie zu fassen kriegt. Denn natürlich mag man den Gebrauch des einen oder anderen Wortes per Gesetz verbieten und unter Strafe stellen. Jedoch lassen sich alle Dinge auch mit anderen Namen belegen oder eben süffisant umschreiben, wodurch die gesetzgeberische Absicht wieder unterlaufen wird.

Doch zurück zu den Terroristen, zumal jene einer bestimmten ideologischen Richtung. Es gab in der Tat nicht viele Anschläge in Europa und die Zahl der Opfer hielt sich auch in Grenzen. Im gleichen Zeitraum starben wesentlich mehr Menschen etwa im Straßenverkehr. Statistisch gesehen ist das völlig unzweifelhaft. Aus der Sicht der Statistik ist es eben weitaus wahrscheinlicher, bei einem Verkehrsunfall ums Leben zu kommen, als durch einen Selbstmordattentäter. Denken Sie daran, wenn Sie nächstens wieder ins Auto steigen!

Obwohl also die objektive Wirkung terroristischer Aktivitäten vergleichsweise gering ist, ist unsere Angst vor ihnen überproportional groß. Und genau das ist es, worauf es ankommt. Es ist gar nicht entscheidend, ob sich einer oder zehn irgendwo auf einem Flughafen, in einem Zug oder sonstwo in die Luft jagen. Allein die Tatsache, dass es geschehen könnte, schränkt unseren Handlungsspielraum bereits deutlich ein.

Aus der Sicht der Terroristen ist das praktisch eine win-win-Situation: sie sparen sich den Aufwand, Anschläge zu planen und auszuführen, und andererseits versuchen maßgebliche Kräfte in Politik und Medien alles zu vermeiden, was diese potentiellen Bomben jemals aktivieren könnte. Dies entspricht dem, was ich seit vielen Jahren als eine Minimax-Strategie bezeichne: mit minimalem Aufwand das Maximum erreichen. Es bedarf also gar keiner Bomben, Sprengstoffgürtel etc., um die gewünschte Wirkung zu erzielen: Angst, "Respekt" oder das, was von gewissen Leuten dafür gehalten wird, und eine entgegenkommende Haltung.

Als Mao Zedong sich anschickte, die Machthaber Chinas aus ihren Palästen zu entfernen, um seine eigenen Rechtsvorstellungen umsetzen zu können, musste er in einem langjährigen Guerillakrieg noch Hunderttausende eigener Soldaten opfern, ehe er am Ziel war. Heute braucht es keine gut trainierte, kampffähige und vor allem zahlreiche Untergrundarmee mehr, um irgendwann einmal Einfluss auf politische Entscheidungen zu gewinnen. Es genügt vielmehr eine latente Drohung mit isolierten Aktionen, um bereits weitreichende Wirkungen zu entfalten. Und vor allem, je öfter dieses Spielchen funktioniert, umso erfolgreicher wird es. Entscheidend ist nur, den nötigen moralischen Druck aufrechtzuerhalten. Alles andere ergibt sich dann quasi von selbst.

Die Funktionalität der Terroristen ist also wesentlich virtuell. Und ich würde sogar soweit gehen zu behaupten, dass diese Strategie noch wesentlich erfolgreicher ist, als eine endlose Reihe von Terroranschlägen. Denn würde es tatsächlich zu ständigen Attacken kommen, dann könnte die Stimmung im Volk schnell umkippen. Das wiederum könnte die langfristigen Ziele nicht nur der Terroristen, sondern auch jener Leute, die ihnen nahe stehen und vielleicht sogar wichtige Funktionen ausüben, empfindlich beeinträchtigen. Insofern ist die virtuelle Drohung einfach effektiver.

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