2011/07/03

Lob der Griechen - oder was?

Kürzlich wurde ich auf einen Artikel hingewiesen, der es in sich hat. Im Stern machte sich der Autor Andreas Hoffmann daran, das übliche Gemälde mit den bösen, weil verschwenderischen und zahlungsunfähigen Griechen einerseits und den guten, "selbstlosen" Deutschen andererseits ein bisschen umzumalen. Die Kernaussage dieses Pamphlets lässt sich in etwa so zusammenfassen: Die deutsche Empörung über die griechische Tragödie ist völlig unangebracht, denn:
Wir Deutsche sind die Krisengewinnler. Wir verdienten früher an den Griechen. Wir verdienen jetzt. Das Land ist ein Goldesel, der Euro in unsere Kassen scheißt.
Da reibt man sich zunächst mal die Augen und liest den Satz nochmals und nochmals, um nur ja sicher zu gehen, dass man keinen Druckfehler übersehen hat. Aber es steht genau so da, schwarz auf weiß. Kein Zweifel.

Nehmen wir mal an, die oben zitierte Aussage sei richtig. Dann wären ja die Deutschen (und alle anderen Zahler) blöd, wenn sie nicht schnellstens weitere Milliarden nach Athen überwiesen. Es ist geradezu, als hätte jemand das wirtschaftliche Perpetuum mobile erfunden: Schmeiß einem Pleitier noch mehr Geld hinterher, und Du wirst immer reicher! Genial ! Da würde ich auch gerne mitmachen! Herr Hoffmann, könnten Sie mir bitte die Kontonummer sagen, auf die ich überweisen soll?

Der Artikel ist gleichzeitig ein wunderbares Beispiel dafür, wie mit Zahlen und Fakten manipuliert werden kann, indem man einfach einige auslässt und dafür andere, eindrucksvollere, umso mehr hervorhebt. Da heißt es zum Beispiel:
Die Erfolgsstory startete im Jahr 2002, als der Euro eingeführt wurde. Die deutschen Unternehmen fanden mehr Abnehmer für ihre Produkte, weil der Wirtschaftsraum wuchs.
Soso, 2002 wuchs also der Wirtschaftsraum. Gab es vorher keinen Handel zwischen Deutschland und Griechenland, keine Oliven in deutschen Regalen und keine Audis auf griechischen Straßen? Zwar ist richtig, dass Deutschland der wichtigste Handelspartner für die Griechen ist, aber umgekehrt sieht die Sache schon anders aus. Nach den Daten des statistischen Bundesamtes lag Griechenland 2010 auf Rang 33 der deutschen Handelspartner, und es ist nicht anzunehmen, dass das acht Jahre zuvor wesentlich anders war. Das entsprechende Handelsvolumen lag nur geringfügig über jenem mit Luxemburg (Rang 36). Ja, mit solchen Partnern kann man sich eine goldene Nase verdienen!

Überdies scheint der Autor anzunehmen, dass sich schwankende Wechselkurse immer nur negativ auf die Gewinne auswirken. Da heißt es:
Schlagartig schwankte kein Wechselkurs mehr und schmälerte die Gewinne der Firmen.
Nun, unter uns gesagt, Wechselkurse können sich durchaus auch zu Gunsten der Unternehmensgewinne entwickeln. Aber das nur nebenbei. Und schon kommt das nächste Häppchen von Hoffmann:
Von der Einführung des Euro im Jahr 2002 bis zum Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 stiegen die deutschen Ausfuhren allein nach Griechenland um 60 Prozent.
Das mag ja zutreffen, aber Ähnliches gilt eben auch für den Handel mit anderen Ländern. Und 60 Prozent von wenig bleibt immer noch wenig. Aber es kommt noch dicker.
Die EU nimmt derzeit Darlehen für zwei Prozent Zinsen am Markt auf und verkauft sie für fünf Prozent an Griechen, Iren und Portugiesen. Das sind drei Prozentpunkte Zinsgewinn. Bei den 8,4 Milliarden Euro, die wir bislang über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) an Griechenlandanleihen verkauft haben, hat Finanzminister Wolfgang Schäuble etwa 200 Millionen Euro eingenommen, schätzt das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung.
Auch diese Aussage soll nicht in Abrede gestellt werden. Allerdings lohnt sich ein Blick auf die Details. Der "Zinsgewinn" von drei Prozentpunkten kommt nicht aus purer Freigiebigkeit der Griechen, Iren und Portugiesen zustande, sondern liegt schlicht und ergreifend an ihrer Bonität, die sich aus wohlbekannten Gründen nicht mehr im internationalen Spitzenfeld bewegt. Die 200 Millionen Euro, die Finanzminister Schäuble eingenommen haben soll, nehmen sich geradezu putzig aus gegenüber dem Finanzbedarf des Landes, der sich im Bereich von mehr als 100 Milliarden Euro bewegt. Zur Erinnerung: eine Milliarde ist genau 1000 Millionen.

Und dann kommt noch eine Lobeshymne auf die "knallharten" Reformen der Griechen.
Die Griechen haben Reformen verabschiedet, an die wir Deutsche nicht im Traum denken. Im Öffentlichen Dienst sanken die Löhne im Schnitt um 15 Prozent, bei Spitzenverdienern sogar um 30. Jede fünfte Stelle bleibt unbesetzt, die Mehrwertsteuer kletterte um vier Prozentpunkte auf 23 Prozent. Seit über 60 Jahren kennen Staatsausgaben in Deutschland nur den Weg nach oben. Die Griechen dagegen senkten die Ausgaben innerhalb eines Jahres um über acht Prozent. Wären wir ähnlich mutig, müssten wir 96 Milliarden Euro in einem Jahr einsparen. Das wären etwa 40 Prozent der Personalausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden. Fast die Hälfte aller Stellen wäre futsch. Das würde sich kein hiesiger Politiker trauen. Die Griechen wagen es.
Nein, die Griechen wagen es nicht. Die Griechen MÜSSEN es tun! Natürlich steht auch bei den deutschen Staatsfinanzen nicht alles zum Besten. Aber die deutsche Volkswirtschaft ist die viertgrößte der Welt (2008) und sie ist ganz einfach wettbewerbsfähiger als die griechische. Wettbewerbsfähiger auch deshalb weil es solche "Besonderheiten" wie Prämien fürs Pünktlich-zur-Arbeit-kommen nicht gibt. Das gehört hier zu den Selbstverständlichkeiten und muss nicht extra vergütet werden. Pensionszahlungen für Tote und ähnliche Eskapaden sind dort auch eher unüblich.

Und immer wenn man meint, Hoffmann hätte bereits den Höhepunkt des Unsinns überschritten, kommt ein neuer Topscore, der alles Bisherige in den Schatten stellt:
Dass sie dennoch weiter in der Krise sitzen, liegt an den irrationalen Finanzmärkten, die um ihre Milliarden zittern. An Ratingagenturen, die Erfolge schlecht reden und die Misere verschärfen.
Da sind sie wieder, die dunklen Mächte, die nur daran interessiert sind, arme und wirtschaftlich schwache Länder schlecht zu reden und sie damit in den Abgrund zu stoßen. "Internationale Finanzmärkte" und "Ratingagenturen" sind also das eigentliche Gift, das die griechische Misere verschärft. Fast könnte man meinen, mit den Staatsfinanzen des Mittelmeerlandes sei alles in Ordnung, wären da nicht - ja genau - internationale Finanzmärkte und Ratingagenturen! Grübel, grübel.... vielleicht haben ja DIE das Zahlenwerk gefälscht und nicht die griechische Regierung, wer weiß? Denen ist ja schließlich alles zuzutrauen. So weit wollte (oder konnte) auch ein Hoffmann nicht gehen.

Übrigens, wenn ich den Griechen Geld geliehen hätte, würde ich auch darum zittern. Und ich wäre sehr daran interessiert zu wissen, wie es um meine Chancen als Gläubiger stünde. Wem ich da wohl mehr vertrauen könnte: einer Regierung, die ihre Glaubwürdigkeit erst noch unter Beweis stellen muss, oder einer Ratingagentur, die zwar auch von Interessen geleitet, aber eben nicht dem Zwang unterworfen ist, die Lage schöner zu malen, als sie ist.

Trotzdem, war nett den Stern-Artikel zu lesen. Geballter Unsinn kann manchmal sehr anregend sein, nicht wahr?

1 comment:

  1. LOL!

    Stern gelingt es tatsächlich, »Hitlers Tagebücher« zu toppen! Das ist fürwahr nicht leicht — aber der Andreas, der kann's ...

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