2011/02/03

Gleichschaltung

Ich habe mich immer gefragt, ob es wo etwas wie den Weltgeist eigentlich gibt. Natürlich nicht als etwas, das - wie der Heilige Geist - den Gang der Welt lenkt, ohne dass wir ein Wörtchen mitzureden hätten. Nein, man findet ihn nicht draußen im Dunkel des Weltalls, sondern mit beiden Beinen auf der Erde. Es ist das Denken der Menschen, das offenbar in entscheidender Weise von kulturellen Faktoren beeinflusst wird. Und zwar auch gegen jede Rationalität und wider besseres Wissen.

Als Jugendlicher wurde mir beigebracht, dass das Denken frei sei und jeder seine Meinung äußern dürfe, ohne Bestrafung fürchten zu müssen. Möglicherweise war das ja damals auch so. Die Schrecken der NS-Zeit lagen  noch nicht allzu weit zurück, und so ist es nur zu verständlich, dass die Menschen ihre neu gewonnene Freiheit in vollen Zügen genossen. Zur wirtschaftlichen Prosperität gesellte sich eine liberale Denkungsart, und alles schien geradewegs auf das Paradies auf Erden zuzulaufen. Auf der Insel der Seligen waren wir jedenfalls schon.

Gefahr für diese Art der Freigeistigkeit schien nur von den rechten und linken Extremen des politischen Spektrums zu drohen. Eine Beschränkung der Meinungs- und Redefreiheit schien es nur wahlweise im Faschismus (bzw. Nationalsozialismus) oder Kommunismus zu geben. Beides waren Systeme, die mit eindeutigen Signaturen versehen waren. Man konnte sie sozusagen von Weitem riechen, und wir würden uns nicht so ohne Weiteres übertölpeln lassen.

Gleichwohl hatte die Linke einige Vorteile auf ihrer Seite: Sie war tonangebend im Kampf gegen Rechts (Stichwort: Antifa, die bekanntlich eine Kopfgeburt des Sowjetkommunismus ist), und deshalb konnte sie auf zweierlei Art und Weise meinungsbildend wirken. Einerseits gegen den Faschismus in seinen unterschiedlichen Ausprägungen als das Böse schlechthin. Andererseits gerieten durch eine fortgesetzte propagandistische Tätigkeit die Abscheulichkeiten des Kommunismus gleichsam ins Hintertreffen und wurden vielfach nicht mehr so deutlich wahrgenommen. Dies galt insbesondere in Intellektuellenkreisen. Als Westeuropa in den 1970er Jahren und später mehrfach von linkextremistischen Terroristen herausgefordert wurde, gab es etliche Intellektuelle, die Verständnis für diese Leute zeigten und deren Wirken wenn schon nicht hoffähig, so doch wenigstens verständlich zu machen suchten.

Diese Tendenz setzt sich bis heute fort. Wenn linke Chaoten randalieren, bemühen sich die Medien immer auffallend, die Gewalttäter möglichst milde zu zeichnen, während die Polizei (trotz Deeskalationsstrategie) regelmäßig den Schwarzen Peter bekommt. Dieses Denken hat eine lange Vorgeschichte, das an einem klassischen Beispiel veranschaulicht sei: Als 1977 eine entführte Lufthansa-Maschine in Mogadischu befreit wurde, waren führende Intellektuelle schnell damit zur Hand, die Befreier von der GSG-9 als Killertruppe zu denunzieren. Damit sollte offenbar vergessen gemacht werden, dass die Terroristen ihrerseits vor Mord (und zwar an wehrlosen Entführungsopfern) nicht zurückschreckten. Diese Strategie ist aufgegangen, und die Medienberichterstattung unserer Tage ist nur die konsequente Fortsetzung des einmal eingeschlagenen Weges.

Nun stellt sich die Frage: Wie konnte es so weit kommen? Wie konnte es geschehen, dass eine Art zu denken, die man eigentlich nur aus kommunistischen Diktaturen kennt, bei uns Einzug halten konnte, und zwar ohne, dass der Kommunismus de facto die Macht übernommen hätte? Wenn man sich die Sache näher ansieht, und zwar in verschiedenen Ländern Europas (aber auch in den USA), so wird deutlich, dass die Strukturen dieses Denkens und seine politische Schlagseite überall die gleichen sind. Es handelt sich in der Tat um eine mediale Gleichschaltung, wie sie auch in der NS-Zeit nicht besser umgesetzt hätte werden können. und das, wie gesagt, ohne äußeren Zwang.

Wenn man annimmt, dies sei der Ausfluss eines langfristigen Planens, dann könnte man tatsächlich von einer genialen Strategie sprechen. Aus meiner Sicht gibt es keinerlei Hinweis, dass irgend ein Mastermind hinter dieser Entwicklung stünde. Vielmehr ist es gelungen, die politisch korrekte Art des Denkens salonfähig zu machen. Wahrscheinlich war es zu Beginn nicht viel mehr als eine Marotte, eine Masche, wie sie so manchem Hirn entspringt. Und etliche sprangen auf den Zug auf, weil es eben gerade im Trend lag. Jeder Trend gebiert eine Vielzahl an Mitläufern. Jedoch viele Modeströmungen verpuffen mit der Zeit und verlieren sich im Nirgendwo. Nicht so die politische Korrektheit. Sie war fest in der Hand von Leuten, die als opinion leader bedeutsam waren. Und darüber hinaus verschaffte sie sich Einzug in die Zirkel der Macht.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand wie Angela Merkel gleichsam von Natur aus politisch korrekt ist. Vielmehr meine ich, dass sich Leute wie sie der vorherrschenden Geistesströmung, also quasi dem Weltgeist, unterordnen, weil sie wissen, dass sie sonst Gefahr liefen, ihre politische Macht zu verlieren. Wahrscheinlich ist das auch einer der Gründe, warum die politische Korrektheit so unerhört erfolgreich ist. Sie ist zwar eindeutig dem linken Politspektrum zuzuordnen, aber andererseits nicht an eine spezifische Partei gebunden. Es ist ohne Zweifel das Parteiübergreifende, was ihre Schlagkraft ausmacht. Sie repräsentiert in gewisser Weise den guten Ton im öffentlichen Diskurs. Damit wird sie auch zu einer Waffe, die sich gegen jeden, der sich gegen den Ton versündigt, richtet. Und dabei sind die Fakten gar nicht mal Ausschlag gebend. Es genügt schon, wenn jemandes Äußerungen bloß falsch verstanden werden könnten. Bereits das macht einen zum Paria. Ein Beispiel dafür ist der ehemalige Bundestagspräsident Philipp Jenninger, dem man beim besten Willen keine Nähe zum Gedankengut der Nazis unterstellen kann. Trotzdem musste er sich den Gesetzen der politischen Korrekheit beugen.

Vereinzelt regt sich Widerstand gegen diese Gedankendiktatur, doch einstweilen sitzt die vorherrschende Denkschablone noch fest im Sattel. Und es wird einer gewaltigen Anstrengung bedürfen, um sich aus ihren Fesseln zu befreien.

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